Das Problem des Anderen
2011, Digitaldruck
Diese Arbeit bezieht sich auf das Buch Die Eroberung Amerikas: Das Problem des Anderen (1982, Verlag Suhrkamp) von Tzvetan Todorov, indem er untersuchte wie Europäer*innen der indigenen Bevölkerungen Amerikas begegneten und welche Mechanismen der Fremdwahrnehmung, Verkennung und Gewalt diese Begegnung prägten.
Colón (Kolumbus) der sprachlichen Vielfalt Amerikas mit einer zutiefst eurozentrischen Haltung begegnet, war nicht in der Lage, die Eigenständigkeit anderer Sprachen wirklich anzuerkennen, sondern reagierte auf das Fremde mit zwei komplementären Strategien: Entweder erkannte er zwar an, dass die Indigenen eine Sprache besitzen, weigerte sich jedoch zu glauben, dass sie grundlegend anders ist; oder er gestand ihre Andersartigkeit zu, verweigert ihr aber den Status einer „wirklichen“ Sprache. Damit bewegte er sich in einem engen Denkschema, in dem das Eigene als Norm gilt und alles Andere entweder als Abweichung oder als Defekt erscheint. Besonders deutlich wurde dies bei seiner ersten Begegnung am 12. Oktober 1492:
„Wenn es dem Allmächtigen gefällt, werde ich bei meiner Rückkehr sechs dieser Männer mit mir nehmen, um sie Euren Hoheiten vorzuführen und damit sie sprechen lernen.”
Dieses Zitat drückt die Vorstellung aus, dass die Sprache der Indigenen keinen Wert habe und erst durch europäische Anleitung gültig werde. Auch später beharrte er darauf, in ihren Äußerungen vertraute Wörter zu hören, sprach mit ihnen, als müssten sie ihn verstehen, und warf ihnen falsche Aussprache vor. Colón erscheinte hier als Figur, die das Fremde nicht als eigenständige Realität akzeptieren wollte: Er dachte autoritär, vereinnahmend und mit einer tief sitzenden kognitiven Starrheit, die ihn daran hinderte, die Gleichwertigkeit anderer Kulturen und Sprachen zu erkennen. Damit verkörperte er ein grundlegendes koloniales Muster: die Unfähigkeit die Anderen als gleichberechtigt wahrzunehmen.
Die visuelle Interpretation dieses Konflikts manifestiert sich in dieser textbasierten Arbeit. Picallo Gil recherchierte in Wörterbüchern, die indigene Sprachen wie Quechua, Guaraní, Tetum, Maya oder Pitjantjatjara ins Deutsche und Englische übersetzen. Dabei suchte sie nach Wörtern, deren Klang oder Schreibweise jenen kolonialer Sprachen – etwa Spanisch, Deutsch oder Englisch – ähneln, und stellte diese einander gegenüber. Eine Ausnahme ist das Wort “joga” das dem Alt-indischen “yoga” gegenübersteht und heute in kolonialen Ländern gebräuchlich ist. Diese Recherche zeigt, dass die so entstehenden „Übersetzungen“ bewusst absurd sind, da die Bedeutungen der Wörter völlig auseinandergehen. Das Layout imitiert den Stil eines Langenscheidt-Wörterbuchs des 21. Jahrhunderts und verstärkt die Assoziation eines vermeintlich objektiven, autoritativen Nachschlagewerks.